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Das Loch im „Eisernen Vorhang“ ...
Angeblich war es der ungarische Außenminister Gyula Horn, der den „Eisernen Vorhang“ knackte, angeblich war es Günter Schabowski, Mitglied des ZK der SED, angeblich waren es die Mauerspechte. Was die Weltgeschichte bis heute verschweigt, ist die Tatsache, daß es ein simpler Lehrer an einem ländlichen Gymnasium war, der mit Hilfe seiner besseren Hälfte den Durchbruch schaffte, der Deutschland wiedervereinigte und die DDR-Potentaten Erich und Emil (Honecker und Krenz) zwecks Umerziehung in die landwirtschaftliche Produktion überstellte. Was war geschehen? Die Beckers, Alfred und Veronika, waren im Dezember ’89 – Krenz war gerade zurückgetreten und ein gewisser Modrow war der neue Potentat – über Würzburg nach Salzburg gefahren, um dort in den Bergen per Ski die Hütte mit dem besten Jagertee ausfindig zu machen. Natürlich kreisten die Gespräche bei dem berauschenden Heißgetränk um die spektakuläre Entwicklung in der DDR, der sogenannten Gänsefüßchenrepublik. Noch stand die Grenze, noch wachte die Nationale Volksarmee über die Souveränität des Staates.
Auch Ferien sind endlich. Alfred Becker trat am 5. Januar 1990 die Heimreise an und nutzte auf Wunsch seiner in Eisfeld/Thüringen geborenen Partnerin die neue Möglichkeit, die Heimreise über die DDR – mit Zwischenstopp eben dort – anzutreten. Und so lenkten sie ihren alten VW Bulli über Coburg zur Staatsgrenze. „Ihre Papiere bitte!“ Nur die Gänsefleischfrage (Gänse vleisch den Gofferraum …?!) fehlte, zumal der Bulli keinen Kofferraum hat. Die Heimfahrt führte das Paar bis nach Barendorf in der Nähe von Boltenhagen, wo sie sich mangels Kartenmaterials mit ihrem Bus auf einen gerade verlassenen, aber noch gut gepflegten Patrouillenweg der NVA verirrten. Neben dem Weg aus Lochbetonplatten zog sich der minenschwangere Todesstreifen hin, dahinter ein Zaun, Schweißgitter aus verzinktem Stahl. Dieses BRD-Produkt bildete den antifaschistischen Schutzwall, der die Arbeiter und Bauern der DDR vor einem Einbruch faschistischer Imperialisten bewahren sollte. Bemerkenswerterweise ließen sich die Matten aber nur von außen her (von Westen) abschrauben, gegen innen (Osten) waren sie gesichert, um die so Beschützten, aber vom Westfernsehen Verführten vor Ausbruch zu bewahren. Drohend davor der Wachturm. Dunkle Fenster starren ins Leere. Verlassen!
Die Leute aus der Umgebung trauten dem Frieden noch nicht so recht und hielten respektvoll Abstand zum antiimperialistischen Schutzwall. Ungeachtet der Tretminen aber wagten sich die beiden durchreisenden Wessies an den Zaun heran, nutzten eine zaghafte, vom Westen geschaffene „Durchreiche“, um die erste Matte abzubauen und dann die darunter, womit der Durchbruch, durch den etwas später die Massen gen Begrüßungsgeld und Aldi strömen würden, geschafft war. Nun galt es die Matten einzurollen und in den Bulli zu verfrachten, auf das niemand auf den Gedanken käme, den Zaun wieder zu verschließen. Weiter nach Wismar, wo ein dankbares Pärchen die Reisenden, welches sie im Ratskeller jener Hansestadt kennengelernt hatten, in die Platte zur Übernachtung einlud, was sehr willkommen war, denn der Schlafraum im Bus war quasi „vergittert“. Tags darauf – lieben Dank! – dann weiter über Lübeck, gleichfalls Hansestadt, nach Bremen. Die Matten reisten also ohne Genehmigung des Politbüros mit den Beckers in ihre Hansestadt, wo sie nun als Erich und Egon identifiziert werden konnten. Angesichts der Schwere ihrer Verbrechen (gewaltsame Trennung des Volkes über 40 Jahre) wurden sie zum Dienst in der landwirtschaftlichen Produktion verurteilt, wo sie nun seit ziemlich genau 30 Jahren unter Aufsicht der Beckers kompostierend tätig sind. Eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung ist nicht beabsichtigt.
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Erich und Egon
Erich Grenzzaun D –DDR Januar 1990 Die erste Matte (Erich) wurde auf der Rückfahrt über die DDR vom Schiurlaub in Österreich (1989/90) am 6. Januar 1990 bei Barendorf in der Nähe von Boltenhagen demontiert und somit „privatisiert“ (Überführung von Volkseigentum in Privateigentum unter Umgehung der Treuhand). Der Zaun sollte die Flucht über die Ostsee vereiteln. Offiziell galt er als Teil des „antifaschistischen Schutzwalls“ der DDR und sollte angeblich das Eindringen von Westagenten verhindern. Bemerkenswerterweise ließen sich die Matten aber nur von außen her (Westseite) abschrauben, gegen innen waren sie gesichert, um die so Beschützten vor dem Ausbruch zu bewahren. Die Anfahrt erfolgte über den Kolonnenweg der NVA, einer mit Platten befestigten Spur für militärische Fahrzeuge, Verbindungsweg zwischen den Wachttürmen. Noch vor Wochen hatten hier die Grenztruppen der DDR ihre Ferngläser auf neugierige Klassenfeinde gerichtet, während unten die Hunde kläfften und ebenso scharf wie die Selbstschussanlagen waren. Hier begegneten wir DDR-Bürgern, die der neuen Freiheit ebenso zögerlich trauten wie wir. Vorsichtige Gespräche, so als könne jederzeit die Stasi aus dem Gebüsch heraustreten. Der Todesstreifen sei von Tretminen geräumt, hieß es; aber darauf mochte man sich nicht so recht verlassen. Schließlich aber standen wir am Zaun, der das Land so lange geteilt hatte. Das Bordwerkzeug unseres Wohnmobils kam erfolgreich zum Einsatz. Da sich die Matten kaum biegen ließen (1a Westqualität), beließen wir es aus Platzgründen zunächst bei dem einen Beutestück, zumal unsere eigentliche Mission, die private Grenzöffnung, erfüllt war. In den Osterferien, März 1990, holten wir eine zweite Matte aus derselben Gegend, nannten sie nach dem letzten Staatsratsvorsitzenden, Krenz, Egon und stellten diesen dem Genossen Honecker an die Seite. Egon und Erich sind genügsame Allesfresser, bevorzugen Grünfutter und bewähren sich in der landwirtschaftlichen Produktion als Kompostlieferanten, wobei sie die erwartete Norm erfüllen. Mit dem Humus dürfte den beiden Politikern auch ein posthumes Leben gesichert sein, was sie als bekennende Materialisten kaum erwarten durften.
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