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Ground Zero Germany

oder: kein schöner Land in dieser Zeit
Albe, La Gomera November 2001

Ein Lied aus alten Zeiten,
ja, das geht mir aus dem Sinn,
kann’s leider nicht behalten,
ain’t my father’s kin ...

Es war einmal, ein wenig ist es noch, ein Land. Ein blühendes Land war es. Daran hatten Kriege, Systeme oder Seuchen nichts ändern können. Kein Gemetzel, ob es nun sechs, sieben oder dreißig Jahre gedauert hatte, kein verseuchendes System, weder braune elf noch vierzig rote Jahre.

Die alte Burg am alten deutschen Fluß. Mal blickten sie majestätisch über die bestellten Äcker und Weinberge bis hinein in feine Patrizierstuben der alten Hansestadt und auf die groben Tische und kratzigen Strohschütten der Gehöfte des kleinen Weilers. In ihrem Schatten sannen die Denker, reimten die Dichter, klagten die Sänger, spielten die Musikanten. Sie wachte über die Lastenkähne auf dem Strom, über die Fuhrwerke auf den Landstraßen, über Bürger, Bauer, Magd und Knecht und gewährte Zuflucht den verwünschten Pfeffersäcken in Zeiten der Not.

Solche Zeiten kamen und gingen. Brandschatzende Söldnerhorden, eifernde Ritterheere mit bloßem Schwert und blankem Schild, uniformierte Bataillone mit schweren Mörsern und rauchenden Haubitzen, uniformierte Armeen mit berstenden Bomben und splitternden Granaten. Schlimmer, meinte man jedes Mal, könne es nicht kommen. Und zurück blieb stets eine geduckte Burg, die aus ihren leeren Fensterhöhlen in den grauen Himmel starrte. Verrußte Mauern und verkohlte Balken, erschlagen die starren Körper der vergeblich Schutzsuchenden. Und doch, immer wieder ein neuer Morgen, immer wieder erhebt sie sich mit majestätischem Blick über die Lande. Über den Bahnhof des Kaisers, über das Parlament der Bürger und die Bank des Rothschilds, über die Rathäuser der Magistrate und Schulen der Heranwachsendern.

Die Glaser arbeiteten eben noch an den geborstenen Fenstern, die Dachdecker warfen einander die roten Ziegel zu, hoch bis zum spitzen First der hohen Halle, damit die wertvollen Fresken nicht vollends verfielen und das eichene Gebälk nicht verfaule, - da kamen sie in ihren Hawaiihemden, Kamera um den Hals, Fraulein – wenn nicht wife – im Schlepp “How much is the Burg? Not for sale?! Money buys everything!”

Die Burg war stolz darauf, daß man sie begehrte. Natürlich würde sie den Antrag nicht annehmen. Und natürlich auch nicht die Bürger, Männer und Frauen mit ihren Kindern, die an schönen Tagen zu ihr heraufkamen. Auch nicht der pensionierte Dorflehrer, Rainer Teutsch, der zunächst die Fremden führte und so schön vom Reichsgrafen Kuno zu erzählen wußte. Aber als Rainer nicht mehr den Berg herauf wandern konnte, kam der junge Teutsch. „Henry W. Teutsch, Tourist-Guide“ stand auf dem Schildchen an seiner Jacke. Ein Highlight sei sie, tönte er, obwohl sie ja von unten angestrahlt wurde. Er plane einen Castle Souvenir Shop mit Fast Food Point, ein Outdoor reading event, im Tower Museum, Easy Literature vom Feinsten für die Sponsoren,..., alles per Castle Club Chip Card. „Mein Dad? For Heaven’s sake! Der nicht. No way!“ Von Kuno erzählte er nichts, das hätte die alte Burg verstanden. Aber dies?

Damit hatte es begonnen. Zunächst hatte niemand auf die kleinen, giftgrünen Schlingpflanzen geachtet, die sich an der Burg hochrankten. Erst als kräftige Winden den Turm umschlangen und ihre tastenden Spitzen in den bröckelnden Mörtel der alten, grauen Fugen bohrten, als die sternförmigen Blüten aufbrachen, rote, weiße und blaue Blüten, da wurde Henry W. Teutsch, Tourist-Guide, auf sie aufmerksam. „Hey Folks,“ rief er, „das ist doch smashing!“ ... und er sollte Recht behalten.

Henry W. Teutsch hieß eigentlich Heinrich Wilhelm, ein ganz unmöglicher Name für einen International Tourist Guide! Freunde nannte ihn „H.W.“, was etwa wie „Ääitsch Dabbelju“ klang. Der erhoffte Strom internationaler Touristen, Amerikaner, Japaner, Chinesen und Eskimos, blieb trotz aller seiner Globalität nur ein Rinnsal, nichts im Vergleich zu Rainers Zeiten. Aber die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises bewunderten ihn. Das fühlte er.

Henry W. war es, der als erster einen Zweig der geilen Burgranke ins Tal brachte, wo er sie beim Elterhaus – jetzt profitables Holiday Center mit einem geräumigen Single Apartment für Ääitsch Dabbelju – in den schweren Boden bohrte. Der schlanke Steckling wurzelte schnell, schoß gelbgrün auf, und schon im nächsten Frühjahr prangten die bunten Sterne, rot weiß und blau, an der ehrwürdig alten Fassade des Holiday Centers. Die Leute aus dem Ort kamen und staunten, zwackten schlanke Ableger ab und schmückten die stolzen Giebelseiten ihrer Elternhäuser. Die Leute waren begeistert: “Just smashing!“ wie Henry W. Teutsch sagen würde.

Einige Alte blickte die blauweißroten Häuserzeilen an und schüttelten den Kopf. Es war Weka, Erwins früherer Studienkollege, emeritierter Rechenlehrer und Hobbybiologe, der warnend die Stimme erhob. In einem langen Aufsatz, den keine Zeitschrift zum Druck annehmen wollte, führte er aus, daß es sich um die Wucherpflanze Dengelschling handele, und zwar in einer extrem wucherfreudigen Unterart, ihr botanischer Name (bot. lat.) Germanglia vulgaris, aus der Familie (bot. lat. Amisma multiflora periculosa/). Diese Pflanze, meinte K. zu wissen, überwuchere alles, töte die heimische Vegetation nicht nur durch Unterdrückung, sondern mehr noch durch Vermischung, wobei sich Dengelschling stets als die dominante Art erweisen werde. So könne sich die Germananglia vulgaris beispielsweise mit jeder gemeinen deutsche Runkelrübe, mit jedem Münchner Kohlkopf und jeder Berliner Knallerbse kreuzen, wobei nach zwei oder drei Generationen ein Quantensprung erfolge, zurück zur transatlantischen Mutterpflanze der Amisma multiflora, in ihrer strukturell genetisch bedingten, ambivalenten Transformation einer omni-resistenten Amisma globale.

Besonders gefährlich seien ihre halbreifen BSE-Früchte. Sie enthielten höchst konzentriertes Basic Simple English. Hier mischte Albe sich ein, Schulmeister und welterfahren. Ja, er habe von der Droge gehört. Sie werde unter dem Namen Cultikill gehandelt, werde in irgendwelchen Bananenstaaten der United Food hergestellt und führe bei Dauerkonsum zum progredienten Hirntod. Da aber wenige an ein immanentes Hirn glaubten, besuchten sie unbesorgt Papst Leo in der Kirch, wiederkäuten Unverdautes und buchten, better safe than sorry, Holiday in Alzheim mit Vollpension und peacebox.

Weka wurde zum beliebten Gesprächspartner in Botanikerkreisen. Ein schrulliger Alter, dessen verknöcherten Ansichten man mit der Bemerkung abtat, die Pflanzenwelt habe sich ewig verändert, man denke nur an das Franzosenkraut, das heute keine Rolle mehr spiele. Wekas Bemerkung, daß dies das Resultat des unverzagten Zupfens hunderttausender örtlicher Kleingärtner sei, überhörte man immer mit Wohlwollen. Learning by doing! Klar doch. Man würde Weka wieder einladen, ein ‚’Botanisches Quartett’ installieren, man werde das den Pflanzenwachstum beobachten (Opgro = Operation Plant Growth) und wissenschaftlich begleiten, aber bei der Wurzel packen (BRP = Back to the Roots Program?) Nein, Prof. Weka, das muß die Pflanzenwelt schon selber regeln.

Inzwischen hatten auch die Bahnhöfe, Banken und Versicherungen Dengelschling an ihren blanken Marmorfassaden empor ranken lassen. Auch in ihren Service Points fand man es auf jedem Counter, auf jedem Desk, sogar in den exhibits (Auslagen): kleine Vasen mit Denlischkraut, jene Selbstkreuzung (autobreeding), vor der Weka so eindringlich gewarnt hatte.
Andere – so auch der politisch stets unkorrekte (versehentlich dennoch Schulmeister) Albe – malten noch furchtbarere Menetekel an die Wand. Die aufrechten Bürger von einst, auch damals gestandene Weltbürger, Seite an Seite stehend, seien nun auf dem Wege nach McWorld. Ja, McWorld, das war die Import-Export Group, Ltd. für die Amisma multiflora. Dabei würden sie immer flacher. Kein Bürger mehr, sondern Burger mit teigigem Äußeren. Stapelbar. In Eigenheimen aus Styropor– eines wie das andere. Keiner werde in Zukunft seinen eigenen Senf dazugeben dürfen. Und die Würstchen von einst würden ihnen als Hot Dogs zur Seite gestellt, die kleinen als Under-Hot-Dogs aus der Türkei und die knall-prallen als Over-Hot-Dogs aus McWorld’s Own Country. Als Unter- und Oberhunde, sozusagen. Es werde viel Ketchup fließen. Am Ende gebe es nur noch einen vorgekauter Einheitsbrei der Marke Hollywood. Döner und Donor, side by side.

„Miesmacher, Nörgler, Nazi!“ hielt man ihnen entgegen. Mit letzterer Keule wird jede Kritik gegenstandslos. Alles werde sich schön demokratisch entwickeln, hielt man den Nörglern um Albe entgegen. Aus Pott un’ Pann werde nun, Dank McWorld, Food for Fun. Dazu gebe es als Softdrink Coke for Joke. In der Fun Society brauche keiner mehr etwas selber zu machen, eine Spaß-Fraß-Gesellschaft, über die schließlich ein Burger King regiere. „Power to the Wopper! Seine „global hymn“ dröhnte aus den Lautsprechern. ”Don’t worry, be happy.” Chorus: „Wow! Wow! Wow!“ Bei happy dachten viele Happi, an Häppchen also. Und so verkehrt war das nun auch wieder nicht. McWorld sei Dank. „Wow! Wow! Wow!“

„Dengelschling über alles, über alles in der Welt,“ sangen traditionsbewußte Muttersprachler. Wer jetzt kein Dengelschling in seinem Vorgarten habe, dürfe nicht im Mainstream baden, forderten die Umweltverbände. Im Bach allenfalls. Aber das ging nicht mehr. Böse Zungen unkten, McWorld habe mit Rock und Stones den Bach (J.S. Brook) verstopft und mit Starter Kit die Fugen zugeschmiert, nur um die Nachzucht von Bürgern zu verhindern. Ganz legal, denn McWorld hatte schließlich den genetischen Code für den aufrecht stehenden Bürger [ vertical thing) gekauft und in Fort Nox endgelagert. Tiefgefroren bei minus 18 Grad. “Best before 6 months from now.”

Hatte man also dem Bach das unterminierende Wasser abgegraben, so gab es doch noch zahlreiche Quellen, die anderes Gewächs als die Amisma multiflora tränkten. „Am Brunnen vor dem Tore“ zum Beispiel. Und wie kam eigentlich das unnütze Röslein zum Knaben auf die Heide? McWorlds Antwort war das Musicill, das mit seiner ton- und eileiterverändernden Wirkung sogar den Burgchor zu den Castel Quire Singers und den Kirchenchor zu den Gospel Vocal Swingers mutieren ließ, während die Gruppenabende der Liedertafel von nun an fruchtlos blieben. Beide, Singers und Swingers, wollen nun, unterstützt von den Cheer Leaders (hervorgegangen aus der früheren Volkstanzgruppe) liebevoll einen eigenen Wagen für die kommende Love Parade gestalten, großzügig gesponsert vom Burger King.

Zu der Zeit erhielten einige verdiente Bürger des Ortes verdächtige Briefe, unter anderem der Bibliothekar Lessing, der Oberrat Goethe und ein Herr Medicus Schiller, ferner der beliebte Landesherr, der Burggraf Kuno, und Konrad Adenauer, Kaiser Wilhelm und Willi Brand. Beim Öffnen rieselte ein farbloses Pulver aus den Kuverts, das den Empfängern in die Nase stieg und sie zum spontanen Erbrechen reizte. Sie alle fanden es zum (may I say so?) Kotzen, verkündete ein Sprecher. Es warf sie auf den Diwan, west-östlich den einen, nord-südlich den anderen. Ja, es war ein Mordanschlag. BSE! Gut, die Betroffenen überlebten mit Not, wurden aber irgendwie sonderbar. Man sprach von ihnen, wenn man überhaupt noch von ihnen sprach, mit einem spöttischen Lächeln um den Mund. „Lessing? - Ach der. Ja, gehen’S mir! Der Depp, der deppige!“

Weka vertrat die Ansicht, McWorld habe zugeschlagen, während Albe die Übeltäter unter seinen Kollegen wähnte. Natürlich seien es die Germanisten. Wenn die Jungs schon die Werke der Meister nicht verstünden, dann weg mit den Urhebern. Nein, nicht etwa die Bücher ins Feuer. Bücherverbrennungen? Nein, danke! So etwas machen Nazis. Aber der Schrott gehört auf den Mist! Das ist Öko-Bio-Entsorgung. Ach ja, die Autoren, Goethe und so?
Nun, man verbrachte die betroffenen Honoratioren in das Sanatorium von Alzheim und vergaß sie dort schlicht und einfach. Computerfehler.

Es geschah an einem Spätsommertag, morgens früh, als Ääitsch Dabbelju sein Single Apartment verlassen wollte. Ein lautes Knirschen, Risse fraßen sich durch die gelackte Decke (Autolack, Hochglanz), Wände, Ytong, wurden nach innen gedrückt, Ziegel stürzten herab, gefolgt von Balken und Storchennest aus Genuine Plastic©. Ganz zum Schluß, denn sie war am obersten First befestigt gewesen, breitete sich eine rotweiße Fahne mit Amismensternen im blauen Feld über den Trümmerhaufen. „Wow, ich bin dead! Boy, that’s life!“ staunte Henry W. Teutsch und ergab sich in seine Lage. Er schaute sich um. Unter sich der Lamynahtboden, über sich die Schicht handgesprayter Deckenverblendung, Lack, perlweiß, hochglanzpoliert. Bruchstücke. Balken und Ziegel darüber. Vielleicht 15 Zentimeter Raum zwischen Lamynaht und Deckenbruch. „Ich bin tot! No way! Aber...“ Er spürte Hustenreiz, Kalkstaub rieselte vom Hochglanzbruch direkt in sein linkes Nasenloch. „...Tote müssen doch nicht husten?!“ wunderte er sich und hustete. Nein, er war nicht tot, davon hatte er sich überzeugt. Er war flach geworden, ein Flachburger, der sich ohne größere Probleme durch den Briefschlitz der geborstenen Haustür ins Freie arbeiten konnte. Vom trümmerübersäten Vorgarten aus sah er die Bescherung. Die kräftige Dengelschlingwinde hatte sein Elternhaus erdrückt. Einfach so. Seine Hand ballte sich: „So wahr ich Heinrich heiße ..“ schwor er. Weiter kam er nicht. Und was war eigentlich Wahrheit, Henry, wie ihn heute alle nannten, - wunschgemäß? oder Heinrich, wie schon Opa und Ur-Ur-Opa hießen. Jetzt unter Efeu. Vom Marktplatz her kam ein Knirschen und Krachen. „Slow motion!“ staunte er, als der Kirchturm in sich zusammensank. Er konnte sehen, wie der Dengelschling sich ein paar Meter über dem Boden zusammenzog und die grauen Mauern nach innen quetschte, wie sich die Mauerkrone weitete, die Kuppel in sich verschluckte und unter dem Gewicht der Dachlast barst, ja explodierte. Der goldene Wetterhahn auf der kupfergrünen Turmspitze versuchte ungläubig, seinen angestammten Ort zu behaupten, krähte einen letzten gebrochenen Protest in den staubigen Himmel und versank im Staub der Trümmer.

Wenig später erlebten Banken und Versicherungen ihren Crash, verursacht von den kleinen Dengelschlings in den Blumentöpfen von Staff & Management, worauf die Wall Street mit einem dramatischen Kursanstieg reagierte. Tokio und Frankfurt zogen nach. Big Bang am Stock Market. London und Paris verhielten sich zunächst abwartend. You never know! Daß die Schule zusammenbrach und ganze Klassen zu Flachburgern preßte, ja davon nahm die Börse keine Notiz. Genaugenommen war es ja ein Gewinn. Zwar waren alle Dengelschlingbauten zusammengestürzt, aber die nun Obdachlosen paßten problemlos in Burger Kings Einwegpackungen. Und Burger King hatte 1.000.000 hübsche Schachteln zugesagt. Nissenhütte 2000.
Nun hatten die Dengelschlingbauten auch die Häuser der wenigen aufrechtstehenden Bürger mitgerissen, und die paßten nun nicht in die Food-Chain-sized flat packs. McWorld bot ihnen zunächst Pommesbecher an und erhielt ein undankbares „Nein Danke!“ Selbst für Drink Cups mit Deckel und Strohalmabzug, echt PVC, wetterabweisend geknickt, waren sie nicht zu gewinnen. Sollten sie doch auswandern. Aber wohin nur in OneWorld?

Am Abend dieses denkwürdigen Tages brach sie zusammen, sie, die als letzte standgehalten hatte, die Burg. Nein, kein großes Getöse. Ein Bröseln und Bersten eher. Ein leises Klagen der Balken, als sich bogen, ein Seufzen, als sie brachen. Ein Schutthaufen aus über 1000 Jahre Geschichte. Der Schweiß ungezählter Leibeigener, die Planung unbekannter Baumeister, die heroische Anstrengung ungezählter Verteidiger, die liebevolle Zuneigung längst verblichener Burgfrauen zu ihren Kindern und zu dem Minnegesang fahrender Sänger, wenn die Ritter zu Felde zogen, die Traktate des Junkers Jörg, der hier sein Tintenfaß gegen den Teufel geschmissen hatte, die Fahne, mit der junge Studenten in den Krieg für ein ‚einig Vaterland’ gezogen waren, über all das schloß sich das Grün der schlanken Amisma. Die biegsamen Äste des Dengelschlings waren den stürzenden Steinen gefolgt, hatten über den Trümmern zueinander gefunden, begruben die Vergangenheit. Endlich ein Ende. Nichts hinderte mehr den freien Burger-look auf McWorld, keine Häuser oder Paläste, keine Kirchen, keine Burgen. Wenn sich einmal die Staubwolken verzogen haben, – einfach nichts. Freier Blick von der Siegessäule bis zur Freiheitsstatue.

„Ground zero, Germany!“ ging es ihm durch den Sinn. Albe hockte auf einer der alten Haubitzen, ein schweres Rohr aus Eisenguß, mit dem man in alten Zeiten die ‚theure’ Heimat verteidigte. Später hatte man eine Kanonenkugel in der Mündung festgeschweißt, damit keiner auf den Gedanken käme, solchen Unsinn wirklich auch zu tun. Weltoffen wollten sie sein, weltbesoffen waren sie geworden. Er kramte den alten Weltempfänger aus seinem Rucksack hervor. Er hatte ihn lange nicht eingeschaltet, weil man auf allen Wellen ohnehin nur das gleiche hörte. Aber da war noch der Kurzwellensender einer kleinen deutschen Urwaldsiedlung am oberen Amazonas. Quietschend, pfeifend und brummend meldete sich die Station. Den Wortfetzen war zu entnehmen, daß die Siedlung der Rinderfarm einer Fast food Kette weichen solle. Man erwäge die Rückwanderung nach Deutschland. Dann spielten sie „Kein schöner Land in dieser Zeit, als hier das unsre weit und breit, wo ...“ Bei „breit“ verreckten die Batterien. „Weit und breit, das kommt hin. Ende!“ Der alte Schulmeister rutschte vom Kanonenrohr, als Weka herankam. Sie gingen zurück dorthin, wo einmal die Stadt gestanden hatte.

Weka und Albe stolperten über die verschütteten Straßen hin zum Marktplatz. Vielleicht brauchte man jetzt Hilfe, - gebraucht hätte man sie schon lange, klar. Aber vielleicht würde man sie jetzt endlich annehmen. Aber nein. Die Burger hatten sich der neuen Situation freudig angepaßt, Burgers adjusted. Viele Flachburger hatten die sauberen Burgerpackungen bezogen, Single und Family Flat Packs, bunt bedruckt mit den Sternblüten der Amisma. Andere waren in ihre zusammengebrochenen Häuser gekrochen und fanden diesen neuen Bungalowstil viel praktischer als die viel zu hohen Zimmer an einem viel zu hohen Treppenhaus.
Und es war gerade vor dem Elternhaus des Henry W. Teutsch, eben da trat Weka auf einen Flachburger. Es quietschte leise „Ääitsch Juuuuu.“ Der teigige Laib war plattgetreten, an den Rändern quoll matschiges Hackfleisch heraus, Ketchup sickerte darüber, dunkelrot. Henry W. Teutsch lag im Rinnstein. Später sollten seine Freunde kommen, ihn mit dem „Don’t worry, be happy!“ ein letztes Fare Well zu bereiten. „Be Happie!“ krächzten die Krähen und dachten ans leckere Häppchen. „Es war kein Zufall, daß ausgerechnet Sie ihn breitgetreten haben!“ meinte Albe.
Aber Weka zuckte mit den Schultern: „Statistisch gesehen haben alle Senkrechtbürger die gleiche Möglichkeit, auf einen Flachburger zu treten.“
„Solange es noch Bürger gibt. Senkrechte, meine ich.“
„Statistisch gesehen dürfte es keine senkrechten Bürger mehr geben,“ erwiderte Weka.
„Nun,“ meinte der Schulmeister, „dann wäre dies also ein Burgersteig. Gehen wir lieber auf der Straße weiter.

Die beiden stolperten über Stock und Stein, Balken und Ziegel, hin zum City Center, da wo früher das Rathaus gestanden hatte, stolperten über abgebrochene Dengelschling-äste und Trümmerbrocken. Nein, es gab weder Höhen noch Tiefen, alles war gleich. Dem Erdboden gleich. Irgendwo aus einer Ruine ein vergessenes Radio, ein Weckerradio: „This is Radio Station Germany; Unser Live Report: Germany Ground Zero!“

 

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