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Quo Vadis: Die Vorgeschichte

Ich erinnere mich an eine Lehrerfortbildung auf Norderney (nach 1990), bei der es um „Moderne religiöse Kunst“ ging. Die Insel ist ein verlockendes Ziel, aber das Thema? Na, schau’n wir mal. Joseph Beuys, Filz und Fett, Metall und Hasenpfote, Blut und Knochen. Die Kunst des Kündens. Selbstverliebt, am Fensterkreuz gekreuzigt. Das Kreuz als Festlegung des Schicksals, als Kreuzung der Kraftfelder, Mann und Frau, der unteren und der kosmischen Welt … Beuys, der Schamane, Wahrer unseres kulturellen Erbes; mittels Filz und Fett, Metall und Hasenpfote, Blut und Knochen. Alfred Hrdlicka, der selbsternannte Ultrastalinist, bekennender Atheist. Sein an Leonardo angelehntes Abendmahlsbild „Santa Maria delle Grazie - Leonardos Abendmahl, restauriert von Pier“ entartet – Pardon, politisch korrekter: … gerät zur Sex-Orgie homophiler und onanierender Jünger. „Hinreißend“, meinen die Birkenstock-Jüngerinnen, „einfach umwerfend!“ Wunschdenken? Martin Kippenberger schuf die Skulptur eines gekreuzigten Frosches mit herausgestreckter Zunge und Bierkrug. Die Kollegin mit Doppelnamen und Birkenstock entdeckt einen tieferen Sinn, eine Botschaft: „Die Amphibien sind das stammesgeschichtlich älteste Taxon der rezenten Landwirbeltiere. Am Anfang war das Wort. Christus lebt in beiden Welten. Da passt der Frosch!“ befindet sie. „Und das Bier?“ „Das Bier im Hier“, grinst sie. „Damit solidarisiert Er sich mit den Schwachen, die sich keinen Wein leisten können. Und mit den Frauen und den Kindern.“ „OK, aber warum Bier?“ will ich wissen. „Weil der Brauerstern ein Hexagramm ist. Und das ist ein gnostisches Symbol, das die Vereinigung Christi und der Sophia, das heißt die Vergöttlichung des Menschen symbolisiert.“ Soviel Humor hätte ich ihr nicht zugetraut. Und auf die Frage, weshalb der Davidstern ein Hexagramm ist, verzichte ich. Nicht mein Bier! Das Geschwafel, das Hineininterpretieren, wo m. E. nichts gemeint und nichts zu erkennen war, ging mir so auf den unheiligen Geist, dass ich als Kontrastprogramm zur obligatorischen Morgenandacht (mit ökologisch-sozialpolitischen Inhalten) am letzten Abend eine "alternative Abendandacht" inszenierte. Ich hatte während einer Zigarettenpause vor der Tür des Hauses mit Blick auf mein dort geparktes Fahrrad einem Mitleidenden gegenüber angemerkt, dass ich jenes Vorderrad ebenso gut zum Gegenstand religiöser Kunst erklären könnte. "Mach doch!" bekräftigte er. „Ich fertige das Altarbild, so wie Du es haben willst. Eine Ikone, quasi als Kontrast.“

QUO VADIS?

Liebe Brüder und Schwestern, im Folgenden LBS genannt, als bescheidener Dank an unsere Sponsorin, die LandesBauSparkasse, welche die heutige Andacht so uneigennützig gefördert hat. Politisch korrekt sollte es LSB heißen, aber der LandesSportBund konnte uns keine Mittel zusagen.
Die Ikone, LBS, der unsere heutige Betrachtung gilt, trägt den fragenden, suchenden, sagenden Titel „Quo vadis?“.
Unerforschlich sind Gottes Wege. Wissen wir wirklich, wer uns führt, was es ist – das da vor mir, dessen Spur ich zu folgen habe, ich folgen muß, ohne Anfang, ohne Ende, stets wiederkehrend? Lenkt es unseren Weg, oder bestimmen wir selber unseren Pfad? Was also ist es, das bewegt, bewegend uns bewegt, ungebremst zum Ziele rollt oder uns straucheln lässt, so sehr wir uns auch abstrampeln? Schaut her, LBS, schaut diese liebliche Ikone! Schaut und erschaudert!

Rad

Es ist das Vorderrad unseres Fahrrades, das somit vom Gefährt hier zum Gefährten wird. Habt ihr je dankend dieses himmlischen Radschlusses gedacht?!
Nein, ganz gewisslich nicht! Weshalb denn nach unten schauen, wo Ihr doch die da oben seid? Weil Ihr vorausschauen müsst, sagt Ihr. Weil Ihr Verantwortung habt, glaubt Ihr. Da sitzt Ihr nun, Ihr Heuchler, in Euren bequemen Sätteln und haltet Euch an Euren Lenkern fest und glaubt, dass Ihr lenkt. Ihr glaubt, dass Ihr den Weg, Euren Lebensweg, bestimmt und schaut – wenn überhaupt - verächtlich auf das Rad hinab. Ja, hinab, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Aber was wäret Ihr ohne dieses Rad? Radlos! Es gäbe keine Bewegung, kein Voran, kein Hinan. Lesen wir doch in dem Buch der Sprüche 8,13 und 14 ach so richtig die Worte: „Die Furcht des HERRN haßt das Arge, die Hoffahrt, den Hochmut und bösen Weg … Mein ist beides, Rad und Tat...“ Allein schon die Fahrt auf dem Hofe, die Hof-fahrt, ist arge Tat. Wie arg aber erst, wenn Ihr mit Seinem Rad auf den bösen Weg abfahrt?
Ihr seht nun, ohne Rad und Tat ginge es mit Euch bergab. Hinab in den Sumpf, hinab in den Pfuhl der Sünde.

Lasst uns nun dieses wirkmächtige Rad, dieses scheinbare Produkt einer sich selbst organisierenden Materie, dieses Alpha und Omega unseres Lebenspfades, abgebildet auf dieser ehrwürdigen Ikone, einmal näher betrachten. Seine untere Peripherie berührt die Tangenten unseres ureigenen Lebenspfades, während seine obere Peripherie sich, einem Regenbogen gleich, unter dem Himmel wölbt, hier versinnbildlicht durch das Schutzblech.
Schutzblech! Genau das ist es! Das ist es wahrhaftig! Ein blecherner Schild, der uns schützt, der uns beschirmt vor dem Schmutz, dem Schlamm, dem Abschaum, vor all dem, was unseren Pfad besudelt?! Und doch verbindet es Himmel und Erde, gleich dem Erlöser, der, aus den Wolken kommend, zur Erde herabstieg und sich erniedrigte, nur um Dich aus dem Morast der Erbsünde zu erretten.

Wie Ihr aus früheren Andachten wisst, LBS, enthüllt eine Ikone ihre Aussage in drei Hierarchien. Und so wollen wir dieses Rad nun betrachten, wie man es auf der Ebene der ersten Hierarchie zu erkennen vermag.
Woran erinnert Euch sein gleißendes Rund, ohne das der Pfad kein Voran, der Weg kein Ziel hätte, das weder Anfang noch Ende kennt, in dem das Alpha und Omega des Okzidents mit dem Ying und Yang des fernen Orients so geheimnisvoll verschmelzen? Ich gehe wohl nicht zu weit, wenn ich in diesem makellosen Rund des Reifs die strahlende Aureole erkenne! Es ist der Nimbus des HERRN! Sein Strahlenkranz! Seine Gloriole!
Und der Reif! Welche Tiefe, welches Profil! Und eben diese drei Millimeter Profil sind es – die Drei der heiligen Dreifaltigkeit –, die Dich auf Deinem Weg nicht ausgleiten lassen. Wenige Millimeter SEINES Profils genügen, um Deine fast 2000 Millimeter im Lot zu halten!
Doch weit mehr noch enthüllt diese erste Ebene:
40 Speichen entspringen einem Zentrum, dem Dreh- und Angelpunkt, und tragen den circulus crucis, wobei jeweils 4 einander – scheinbar zufällig – entgegengeordnet, das Kreuzessymbol bilden. 10 Kreuze sind es also, die, aus 40 Speichen gebildet, wegweisend in alle Richtungen zeigen. Wer denkt da nicht an die universell gültigen 10 Gebote? Wer denkt nicht an den Segen urbi et orbi, wobei urbs für Rom und orbis, für den Erdenkreis steht. Das ist, weltumfassend gesehen, die makro¬kosmische Überhöhung von Nabe und Rad.
Doch weit mehr enthüllt diese erste Ebene, auf der wir unsere Ikone betrachten: Auch die 40 Speichen sind ein Symbol, das augenfälliger nicht sein kann! Nach 40 Speichen endet die Drehung des Rades, um den Zyklus mit der 1. neu zu beginnen. Diese 1 steht für den Anfang, denn „Am Anfang war das Wort“, aber die 40 steht für Zeit und Raum, für die Dauer des langen und beschwerlichen Weges, auf dessen Ende ein Neuanfang folgt, nicht selten begleitet von jenem Wort, das am Anfang war.

40 Tage dauert die alles zerstörende Sintflut, danach ein klarer Neuanfang, Noah als Existenzgründer.
40 Jahre wandern die Hebräer unter Moses durch die Wüste, und aus dem wilden Haufen entlaufener Nomaden ist das Volk Israel geworden.
40 Tage blieb Moses auf dem Sinai, um dann die kalbsanbetende Horde unter das Wort, unter das Gebot zu stellen. Gleich ihm kam Jesus, der Zimmermann aus Nazareth, nach
40 Fastentagen als Rabbi aus der Wüste zurück, der dann der Menschheit sein Liebesgebot verkündigt.
40 Tage mystischer Existenz liegen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt,
40 Tage, die aus dem irdischen Jesus den himmlischen Christus werden ließen. Und ...
40 Jahre bestand die DDR, eine Ruine selbst angemaßter Auferstehung. Doch am nun neuen Anfang steht das Wort von den blühenden Landschaften.

Hier im Bild, wo wir, LBS, das Rad aus einer eher seitlichen Perspektive sehen, transformieren sich die Speichen in diesem Kontext zur Mandorla, der ovalen Gloriole, die traditionell nur Ihn und die Jungfrau kennzeichnet. Wären sie tangential angeordnet, erblickten wir Joseph Beuys’ „Sonnenkreuz“; aber so wie sie sind, formen sie sich jedoch zur Dornenkrone, zur Krone, in deren Zentrum – unbeweglicher Mittelpunkt, doch sich selber um sich selbst drehend – die Nabe ruht, ruht und rollt, rollt und ruht. Und wirkmächtig wirkt sie, denn in der Ruhe liegt die Kraft!

Doch was, LBS, erkennt die zweite Hierarchie? Wer von Euch schon einmal in einer Krisensituation steckte, weil es kein Voran auf seinem Lebenspfad mehr zu geben schien, wer – weil er nicht auf der Strecke bleiben wollte – mit gnostischem Eifer in das Geheimnis der Nabe einzudringen suchte, dem brauche ich nicht zu sagen, was sie uns existential sein will, - nein, existential ist! Ihr Zentrum, das uns bislang apokryph oder mystisch erschien, offenbart sich als die „unbewegte Achse an sich“. Diese Gebärerin von Werden, Sein und Vergehen, ist selbst geboren aus dem Dualismus von je einer Ur-Mutter zu beiden Seiten der Gabel und wird dort in scheinbar verschrobener mütterlicher Liebe gehalten.

Sie, die Achse, ist Garant eures Lebensweges ( - sie! – liebe Schwestern; bemerkt das weibliche „sie“), sie ist das Letztendliche, um das alles Sein, alles Werden und Vergehen zirkuliert. Und doch, Schwestern, sie ist der Archetyp des Weiblichen, die Mutter, existentielle Präkondition, sie ist ideeller und ontologischer Urgrund dieses Kreislaufs materieller Existenz überhaupt. Nichts ist, wenn sie nicht ist.

Zurück zur Achse. Zwischen ihr und dem zylindrischen Rund, aus dem der Strahlenkranz der Dornenkrone notwendig entspringt, kreist ein Kosmos von Kugeln, gespiegelt von seinem Widerpart; es sind zwei Planetensysteme, die die zeitlos unbewegte Existenz der Achse zur Bewegung in Raum und Zeit transformieren. Das Sein dieser kosmischen Systeme begründet die Notwendigkeit der Dornenkrone, ohne die das Lebensrad nicht wäre. Wenn nicht für diesen Reif – Rad und Gloriole in einem – wofür dann sollten wir das Schutzblech brauchen? Wofür dieses Himmelsgewölbe, wenn es keinen irdischen Pfad gibt?

Gelangen wir nun, LBS, über die dritte Hierarchie zur vollen Erkenntnis des Gemeinten, indem wir den Schritt von der Dreifaltigkeit Mutter, Achse und Kosmos hin zur Dreieinigkeit der Nabe vollziehen. Nabe! Das Wort allein verweist schon auf das, was die speicherne Dornenkrone so sinnfällig überhöht. Wer denkt bei ‚Nabe’ nicht an die Wundmale des Erlösers?

Fassen wir unsere wundersame Entdeckungsreise durch den menschlichen Mikrokosmos, der Technik des Rades, zusammen, dann erkennen wir das, was dieser Mensch in seiner Verblendung für die Schöpfung seines kreatürlichen Geistes hält, als inspiriertes Abbild des transzendenten Urbildes. Dann ist dieser flackernde Schatten auf Platons Höhlenwand die Widerspiegelung des göttlichen Makrokosmos. Die zentrale Dreifaltigkeit von Ur-Mutter, von raum-zeitloser und transformierendem Kosmos, wird in der dreieinigen Nabe zum immanenten Speichenkreuz der Dornenkrone, aus der sich die Mandorla formt. Diese nun konstituiert das Rad des Lebens, das sich zeitgleich im Staub des Lebensweges und in himmlischen Sphären bewegt.

Jetzt begreifen wir das Rad als Symbol der ewigen Wiederkehr, komplexer noch, als Mythos des Aufstiegs und des Niedergangs – gleich dem Rad der Fortuna; oder auch als Mythos von Werden und Vergehen, somit als Rad des Lebens. Das Kreuz der Speichen steht hier als krönendes Zeichen der Versöhnung. Und so stehen wir also völlig unvermittelt vor der Fusion von Dornenkrone und Samsara. Dieses fernöstliche Rad des Seines verbildlicht den leidvollen Wiedergeburtenkreislauf, aus dem Befreiung zu finden, jedermann bemüht sein sollte.

Jenes hinduistische Rad der Wiedergeburt, dessen ruhendes Zentrum, dessen Achse, das göttliche Brahman ist, hat nur ein Ziel, auf das es sich hinbewegt: das Brahman! Es ist auf dem Weg zu sich selbst. Auf dem Weg zum Nirwana, würde Buddha sagen und auf seinen Achtgliedrigen Pfad verweisen, der – ebenso über das Rad der Wiedergeburt – zur ursprünglichen Glückseligkeit des seienden Nichtseins, des Nirwanas zurückfindet.

Der schmale Weg, dem Christian in John Bunyan’s „Pilgrim’s Progress“ folgt, führt letztendlich in das Paradies, aus dem Adam und Eva vertrieben wurden und in das wir am Ende unserer Tage einzugehen hoffen.

Einen weiten und schwierigen Weg scheint auch der lange Marsch der orthodoxen Marxisten vorauszusetzen. Aber wie einfältig reaktionär sind jene sich für progressiv haltenden Linken, wenn sie uns schrecken wollen, indem sie skandieren: „Wenn mein starker Arm es will, stehen alle Räder still!“ Nein, sagen wir! Charley Chaplins Räderwerk in Modern Times mögt ihr aufhalten; Charley und sein Mädchen gehen dann eben radlos auf der Straße dem Morgen entgegen.

Den Reif im Zeichen des Speichenkreuzes bremst ihr aber nicht. Und wir, in der Geborgenheit des Schutzbleches singen dreifältig progressiv unser Bekenntnis: „Ja, mir san mit'm Radl da…“

Möge Euch also, LBS, diese Ikone die rechte Erkenntnis, das Wissen um den rechten Weg vermittelt haben:
Empfehlt dem HERRN Euren Weg und vertrauet auf Ihn!
Haltet fest am Lenker, - am Lenker, zu dem wir uns bekennen!
Vertraut auf das Rad, SEIN Rad, welches Euch bewegt.

So gelangt Ihr von der leidvollen Via Dolorosa des Heilands über den Achtgliedrigen Pfad, der das Leid aufhebt, zum alleinseligmachenden Highway to Heaven. Dann heißt es:
„Klingelt, und es wird Euch aufgetan.“
Sollte Euch aber Unbill widerfahren, ein Schicksalsschlagloch vielleicht, oder ein noch nicht erleuchteter Laternenpfahl, denkt an den Psalm 37, wo David Euch versichert:
„Der HERR wird’s schon richten!“

Im Sinne unserer ehrwürdigen Ikone spende ich Euch diesen Reisesegen:

„Rollt dahin im Schutze des Bleches und habt Luft im Reifen bis ans Ende Eures Weges. Amen“.

 

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